Körperbezogene Prozesse und Präpositionen / Präpositionalphrasen als sprachlicher Code bei Kindern im Primaralter

Dieser Fachartikel wurde in „Praxis Sprache“, Fachzeitschrift für Sprachheilpädagogik, Sprachtherapie und Sprachförderung 2015 (60) 2, S. 117-119 veröffentlicht.

In der folgenden Ideensammlung werden vielfältige propädeutische Möglichkeiten aufgezeigt, um die sich anschließende professionelle heilpädagogische Arbeit kindgerecht einleiten und damit die Schülerinnen und Schüler für den Zielgegenstand verstärkt motivieren zu können. Es bleibt zu überprüfen, inwieweit die Vorschläge für konkrete sprachheilpädagogische wie -therapeutische Einzelsituationen geeignet erscheinen.

Embodied Speech:

In Anlehnung an psycholinguistische Forschungsergebnisse und spracherwerbstheoretische Folgerungen (beispielgebend: Andersen 2011) wird davon ausgegangen, dass Kinder bereits frühzeitig fähig sind, grammatische Strukturen implizit zu produzieren, ohne explizit über die zugehörigen mentalen Kategorien zu verfügen – so auch bei den zuerst benutzten Präpositionen (Szagun 2007).

Kleinkinder nutzen spontan eine allozentrische Sichtweise, wenn sie die Position von Objekten im Raum zueinander in Beziehung setzen: „Der Ball liegt zwischen dem Baum und dem Strauch“ (Haun 2015, 24). Erst über das eigene Bewegen in diesem Raum entwickelt sich das in unserer Kultur übliche egozentrische Orientierungsmuster. So verschaffen sich die Kleinen im frühen Kindesalter mentale Repräsentationen bezüglich der anatomischen Anordnung und Stellung ihrer Körperteile zueinander (= Körperschema); darauf aufbauend von Raumlagebeziehungen der Objekte zur eigenen Person im Sinne intrinsischer, extrinsischer und deiktischer Perspektiven (= Raumschema); später dann Vorstellungen von zeitlichen Relationen und Geschwindigkeitsverhältnissen (= Zeitschema). Zunächst wird der eigene Bewegungsraum durch erkundendes Agieren zum Erfahrungsraum, wobei sich handlungsbezogene Körper-, Raum- und Zeiterfahrungen herausbilden (Bischof-Köhler 2000); stets begleitet von sensitiven Erlebnissen (Schönhammer 2013) samt dem zunehmend sicheren Gespür für Bewegungseffektivität.

Da Kinder unseres Kulturkreises erst die egozentrische Orientierung lernen müssen, brauchen sie deshalb besonders lange, um „rechts“ und „links“ zu unterscheiden; bis zum 5. Lebensjahr (Haun 2015, 25). So formt die Art der Raumorientierung (egozentrisch versus allozentrisch) das jeweilige Denken und den jeweils zugehörigen sprachlichen Code – ein Beispiel für verkörpertes Denken und verkörperte Sprache (Jackel 2015 in Druck: „embodied speech“; Zepter 2013: „verkörperte Sprache“; Storch & Tschacher 2014: „Embodied Communication“).

Ganzheitlichkeit der Verbindung von Sprache, Körper und Bewegung

Boenisch hält für eine häufige Verwendung von Präpositionen nach dem 35. Monat vorrangig die vielfältigen motorischen und visuell-räumlichen Erfahrungen beim Aufrichteprozess für verursachend, weil in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen die Verwendungshäufigkeit von Präpositionen bei stark Körperbehinderten mit steigendem Lebensalter 30 Prozent unter der von nicht Behinderten liegt (Boenisch 2009). Damit folgt er bei der Interpretation seiner Untersuchungsergebnisse der Vorstellung von Verinnerlichung realer Handlungsmuster der Tradition Piagets und Wygotskis (mithin aller SensualistInnen) und sieht darin – wie auch die Sprachdidaktikerin Alexandra Zepter – einen „Gewinn der Sinnlichkeit für Sprache“, obgleich für den Mainstream sprachdidaktischer Forschung „Embodiment/Verkörperung“ trotz sensualistischer Ausrichtung derzeit noch keine Option darstelle, so Zepter (2013, 48).

Es hieße jedoch in eine monokausal-alltagstheoretische Vorstellung zu verfallen, wenn man postulierte, dass Subjekt-Objekt-Bezüge sowie Raum- und Zeitbegriffe sich ausschließlich durch die real handelnde Welterschließung manifestierten. Die Plastizität des menschlichen Gehirns ermöglicht auch Zugangsweisen über beobachtetes und vorgestelltes Tun.

Entwicklungssensitive Einstiege für Erwerb und Übung von Verhältnismarkierungen

Als entwicklungssensitive Methode zum Beüben von Präpositionen und Präpositionalphrasen ist (wie für alle sprachlichen Kompetenzbereiche) von authentisch erfahrenen Situationen und emotional-freudvollem Erleben der Kinder auszugehen, wenn ein fließender Übergang der betreffenden Sprachstruktur in die Spontansprache erfolgen soll; kontextuell und situativ. Damit stehen in einem kindgerechten Grammatikunterricht Präpositionen und Präpositionalphrasen zum einen im Kontext grammatischer Kategorien und zum anderen im Kontext kreativen Umgangs mit Satzstrukturen; z. B. als Teil einer thematischen Schreibwerkstatt.

Ein weiteres methodisches Prinzip stellt die Form der Veranschaulichung der sprachlichen Zielstruktur dar: (1) eigenes Agieren und dialogisch handelnde Anwendung, (2) Abbildungen mit Zuordnung der Sprachstruktur in kommunikativen Situationen und (3) erforschend-abstrahierte Arbeit an konkretisierten Sprachspielen zum Übungsgegenstand in funktionalem Zusammenhang als kontextuiertes Sprachlernen. Laut wissenschaftlicher Studie von Watermeyer und Kauschke (2013) mit 3-bis 5jährigen deutschsprachigen Kindern ohne Entwicklungsauffälligkeiten ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen Selbst-Handeln und Satz-Bild-Zuordnung beim Grammatikverständnis; allerdings erbrachte das Selbst-Handeln bei den jüngeren Kindern verlässlichere Aussagen. Mit diesem Untersuchungsergebnis gehen die Sichtweisen aus dem Bereich der psychomotorischen Förderung nicht konform (Beins 2007; Zimmer & Vahle 2005). Denn hier steht das Postulat von der Nutzung der Ganzheitlichkeit der Verbindung von Stimme (Sprache + Singen), Körper und Bewegung im Vordergrund. Demzufolge erscheint ein sich gegenseitig bedingender und damit aufeinander folgender methodischer Weg sinnvoll von (1) Selbst-Handeln mit implizitem Sprachgebrauch, (2) Visualisieren mittels Abbildungen bis (3) zunehmend expliziter Arbeit an den Konstruktionsregeln der Sprache.

Eine Zusammenschau an Praxisvorschlägen für kindgerechte Einstiegsphasen

1. Vorschläge zum Selbst-Handeln mit Sprechbegleitung:

Motto: „Kinder orientieren sich im Raum mit Präpositionen in funktionalen Zusammenhängen“
Lernziele: Schärfen des dreidimensionalen Wahrnehmens bei der Orientierung im Raum mit intrinsischer, extrinsischer und deiktischer Perspektive in pragmatischen Kontexten; situative Anwendung von Präpositionen in der Spontansprache.

  • Orientierungsspiele wie „Hochhaus-Tandem“: Blind-Lauf des einen Kindes durch einen Hindernisparcours [„Großstadt“: ausgelegte Zeitungsseiten] nach verbalen Anweisungen eines Partnerkindes;
  • Platzfinde-Spiele mit Kinderketten: „Ich stehe vor dem Tom und hinter der Susi. Ich stelle mich vor / hinter ...; ich möchte zwischen ... stehen; der Tom soll sich bitte neben den … stellen“;
  • Transportspiele mit wechselnden Perspektiven wie „ Eisenbahnfahren“ (Turnhalle: kleine Kästen stehen umgedreht auf Rollbrettern, verbunden mit Seilen; Kinder sitzen in und entgegen der Fahrtrichtung): „Wer sitzt vor mir, wenn ich in Fahrtrichtung sitze / nicht in Fahrtrichtung sitze? Was ist aus Sicht der Lok vorne und hinten?

Erhöhter Schwierigkeitsgrad bei vorgestellter Verortung:

  • Verbring-Spiele wie „Alles steht Kopf“: Erstes Kind: „Ich lege die Zahnbürste unter das Sofa.“ Zweites Kind: „Ich lege die Zahnbürste unter das Sofa und den Toaster hinter das Fahrrad“, etc.;
  • Entnahme-Spiele wie „Vielfraß trifft Kühlschrank“: Erstes Kind: „Der Vielfraß nimmt sich eine Wurst aus dem Kühlschrank.“ Zweites Kind: „Der Vielfraß nimmt sich eine Wurst und ein Erdbeereis aus dem Kühlschrank“. Zuletzt merkt der Vielfraß, dass er mehr herausgenommen hat als er essen kann und legt einiges zurück: „Der Vielfraß legt die Wurst wieder in den Kühlschrank“…;
  • Laufspiele mit Vorwärts-, Seitwärts- und Rückwärts-Schritten. Die Zwischentexte werden von der Lehrkraft als Vorstellungshilfen gegeben:


    [Lehrkraft:]
    Onkel Oswald fährt U-Bahn.
    Es fahren viele Leute mit.
    Onkel Oswald steht im Gang und schwankt:

    [Kinder sprechen und schreiten:]
    Vor – und zurück – und zurück – und vor,
    vor – und zurück – und zurück – und vor.

  • Rhythmikspiele mit gehäuften Präpositionen, implantiert in rhythmisierte Sprache wie Mitsingen oder Chorsprechen, mit anschließendem Herausarbeiten der Präpositionen oder als Analogiebildungen mit selbst gefundenen Reimen; hier: in Anlehnung an das bekannte Kinderlied „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt `ne kleine Wanze“ (Gemeingut) mit chorischem Sprechen:


    Auf der Mauer, auf der Lauer
    hinter Nachbars Haus
    sitzt der Kater Stanislaus
    und schaut nach Mäusen aus.

    Oder:
    Auf der Mauer, auf der Lauer
    während Jules Schmaus
    schauen Maus und Mäuserich
    nach Müslikrümeln aus.

2. Vorschläge zur Satz-Bild-Zuordnung und zum Richtungsschreiben von Symbolen:

Motto: „Kinder erkennen und benennen anhand von abgebildeten Situationen die Verhältniskonstellationen im betreffenden Realraum“
Lernziele: Raumorientierung/visuell-räumliches Erfassen anhand zweidimensionaler Darstellungen von kindgerechten Kontexten; situative Anwendung von Präpositionen und Präpositionalphrasen.

  • vorhandenes Lernmaterial nutzen wie Materialien des Therapie- und Lehrmittelverlages PROLOG (2015) „Präpositionen mit der Maus“, „Präfix“ mit lokalen Präpositionen, „Quartett zu lokalen Präpositionen und sinnhaftem Ablegen von Kartenreihen, „Sprachspiele zu Wechselpräpositionen“;
  • vorhandenes Lernmaterial als Anregung nutzen und umfunktionieren wie zu den Bildkarten von „Kuh & Co“ (Ravensburger) verbalisieren: „Ich sehe, wie das Huhn auf den Misthaufen fliegt und das Schwein sich im Matsch suhlt“;
  • Bildkarten in Reihenfolge bringen und mittels temporalen Präpositionen verbalisieren: „zuerst, später / gestern, heute , morgen“;
  • Richtungsschreiben 1: „Das Haus vom Nikolaus“ in seiner Strichfolge mittels Präpositionen verbalisieren: „Ich muss zuerst einen Strich nach rechts machen, dann einen nach oben, den dritten Strich nach links, den vierten schräg nach rechts oben...“;
  • Richtungsschreiben 2: „Zahlenschreiben mit Reimen“ im 1. Schuljahrgang mit Präpositionshäufung: „Schräg hinauf und gerade nach unten – und schon ist die 1 erfunden. … Bogen links – dann rechts, links, rechts – die 8 ist kurvig, stöh`n und ächz`. ...)

3. Vorschläge zur Arbeit an den Konstruktionsregeln der Sprachstruktur und am Sprachverständnis:

Motto: „Auf dem Weg zu Sprachbewusstheit: implizites Wissen um Präpositionalphrasen wird explizit gemacht“
Lernziele: Handelnder Umgang mit präpositionalen Sprachstrukturen aus erforschendem/untersuchendem Spiel mit Sprache und personalem wie kreativem Schreibanlass heraus mit abstrahierend-kategorisierendem Erkenntnisgewinn.

  • Findewörter sammeln während eines Spazierganges: „auf dem Boden“ [Steine, Sand, Fahrradspur …], „auf den Dächern“ [Satelitenschüsseln, Schornsteine, Vögel …], „auf der Wiese“ kombiniert als Syntax-Übung mit Präpositionalphrasen;
  • Wörtermaschine: zwei Pappstreifen mit präpositionalen Präfixen + Nomen / präpositionalen Präfixen + Verben zum Durchziehen und Kombinieren;
  • Wo/Wohin/Mit wem/Wann-Spaltenspiel auf Satzebene zum Umklappen nach jedem Satzteil für den nächsten Mitspielenden. Dadurch entstehen Nonsens-Sätze mit gehäuften Präpositionalphrasen. (Vorgabe-Satz: „Onkel Otto / sitzt / mit seiner Katze / auf der Bank / hinter dem Haus / im Garten“);
  • „Wohin gehst du – wo stehst du?“-Spiel mit Wechselpräpositionen als Frage-Antwort-Spiel im Tandem: „Wohin gehst du?“ „... auf den Sportplatz“ „Wo stehst du jetzt?“ „... auf dem Sportplatz“ … unter den/unter dem, etc.;
  • „Auf Toilette sein“-Spiel: verkürzte Präpositionalphrasen mit „auf … sein“ finden, nicht aber „auf Klo sein“;
  • Raumlagen, implantiert in rhythmisierte Sprache: Gedicht in Reimform:
  • Wer bin ich?
    Rechts steht ein Bein vor noch zwei andern.
    Da lässt es sich in Reihe wandern.
    Und eines hat zwei vor sich steh`n,
    ein drittes muss dazwischen geh`n.
    Weil links wie rechts,
    kann ich sie nutzen,
    um eins mit anderen zu putzen.
    Und oben, weißt du, hab` ich keine.
    Genug der Beine. (Wer bin ich? Eine F....e)

  • poetische Texte gestalten nach strukturellen Vorgaben: gehäuft vorkommende Präpositionen in Elfchen, Haikus,
    oder nach einer „speziellen Gedichtform für Kinder mit Sprach- und Sprechproblemen“ (Gmachl 2014, 55); hier als Analogbildung zu den Fünfzeilern von Gmachl:

    Frösche sitzen im Wasser,
    Vögel sitzen auf Bäumen,
    Fliegen sitzen an Marmeladebroten,
    Schnecken sitzen unter Salatblättern,
    aber Krokodile sitzen gar nicht.

Literatur

A

Andersen, H. (2011). Entstehung von Sprachbewusstsein in der frühen Kindheit – Spracherwerbstheoretische und didaktische Perspektiven. In: Köpcke, K.-M.; Noack, C. (Hrsg.): Sprachliche Strukturen thematisieren. Sprachunterricht in den Zeiten der Bildungsstandards, S. 15-26. Baltmannsweiler: Schneider.

B

Beins, H.-J. (2007). Kinder lernen in Bewegung. Dortmund: Borgmann.

Bischof-Köhler, D. (2000). Kinder auf Zeitreise. Bern: Huber.

Boenisch, J. (2009). Kinder ohne Lautsprache. Grundlagen, Entwicklungen und Forschungsergebnisse zur Unterstützten Kommunikation. Karlsruhe: von Loeper.

G

Gmachl, J. (2014). Spezielle Gedichtform für DichterInnen mit Sprach- und Sprechproblemen. In: mitSPRACHE 4, 55-56.

H

Haun, D. (2015). Warum verwechseln wir so leicht rechts und links miteinander? In: Gehirn und Geist 3, 24-25.

J

Jackel, B. (2015 in Druck). Sprache als körperbezogener Prozess: Embodied Speech. In: logoTHEMA 2.

S

Schönhammer, R. (2013). Einführung in die Wahrnehmungspsychologie. Sinne, Körper, Bewegung. Wien: facultas wuv.

Storch, M. & Tschacher, W. (2014). Embodied Communication. Kommunikation beginnt im Körper, nicht im Kopf. Bern: Huber.

Szagun, G. (2007). Das Wunder des Spracherwerbs. Weinheim: Beltz.

W

Watermeyer, M. & Kauschke, Chr. (2013). Ausagieren oder Satz-Bild-Zuordnung? Grammatikverständnis im Vergleich. In: Logos (21) 4.

Z

Zepter, A. L. (2013). Sprache und Körper. Vom Gewinn der Sinnlichkeit für Sprachdidaktik und Sprachtheorie. Frankfurt/M.: Lang.

Zimmer, R. & Vahle, F. (2005). Kinder – Körper – Sprache. Psychomotorisch fördern. Freiburg i. Br.: Herder.


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