"Mal sehen, ob unsere Hände und Arme auch Ohren haben"-Wie Kindergehirne ticken und neurodidaktische Settings zu freudvollem (Be-) Handeln verhelfen

1. Lernen über die kindlichen Ressourcen "Begeisterungsfähigkeit", "Bewegungsdrang" und "Freude"

Kindsein heißt spielen dürfen. Das Spiel ist die ureigenste Lernform für Kinder, weil es in besonderer Weise ihre Bedürfnisse einbezieht. Explorationsfreudig gehen die Kleinen neugierig mit sich selbst und ihrer Mitwelt um. Wird diese ursprüngliche Begeisterungsfähigkeit in freudvollem Spiel genutzt, kommt es zu positiven, entwicklungsförderlichen mentalen Abspeicherungen im sensorischen, motorischen, kognitiven, emotionalen, sozial-kommunikativen Bereich; begleitet von angstfreiem Sprechen. Denn der Fokus der kindlichen Aufmerksamkeit ist nicht auf die Sprache, sondern auf das Spiel gerichtet, was das Kind ganz ursprünglich beherrscht (Kompetenzorientierung). Eigenständiges Tun bringt individuelle Erfahrungen mit sich. Sie fungieren als Grundlagen für Lernen: Lernen als Destilat aus eigenständigem, erfahrendem Handeln und Sprache als begriffgewordener Handlung. Hierzu gehören im Elementar- und Primaralter besonders großräumige Bewegungsspiele mit Musik und Bewegungsgeschichten. Insbesondere letztere können je nachdem, wie Zeit und Material zur Verfügung stehen, arrangiert werden und einen weiten Spannungsbogen aufrecht halten, wenn beispielsweise die kleinen "Weltenbummler" neugierig sind, wie am nächsten Tag die Bewegungsgeschichte wohl weiter gehen mag. Bewegungsspiele, Spiellieder und Bewegungsgeschichten mit den Elementen Motorik Sprache und Musik fungieren als basale Orientierungshilfen (1.) auf der Spür-Spaß-Achse (wirken psycho-sensorisch positiv), (2.) der Bewegungs-Spaß-Achse (wirken psycho-motorisch positiv) und (3.) auf der Sprach-Spaß-Achse (wirken kognitiv und sozial-kommunikativ positiv, auch über Nonsens). Ausgelebt werden sie über die musikalische Betätigung als ontogenetisch ganz ursprüngliche Aktionsform mit Dopaminflutung im Frontalhirn und fundamental-positiven Gefühlen. So helfen die Ressourcen "Begeisterungsfähigkeit", "Bewegungsdrang" und "Freude", die Kleinen zu mobilisieren anstatt einer Defizitorientierung.

2. Persönlichkeitsentfaltung, ausgehend von der Senso-Motorik

Ontogenetisch erfolgt die Persönlichkeitsentfaltung von der Sensorik und Motorik aus. Denn zuerst entwickeln sich die körpernahen Sinne (Reiz und Rezeptor liegen beide im Körperinneren: taktile, propriozeptive, vestibuläre und gustatorische Modalität). Sie bilden die körpereigene Basis, welche die Kleinen brauchen, um sich dann angstfrei und neugierig ihrer Mitwelt zuwenden zu können und sich auf diese Außenwelterfahrungen überhaupt einzulassen. Dabei werden die Fernsinne gebraucht (visuelle, auditive und olfaktorische Modalität). Bei ihnen liegt der Reiz in der Umwelt und wird mit den entsprechenden Rezeptoren von dort "eingefangen" (afferenter Funktionskreis), im Gehirn verarbeitet, sortiert, bewertet und abgespeichert (= intermediärer Funktionskreis) und hinführend zur Bewegungsantwort bis in bestimmte Muskeln als Zielorgane (= efferenter Funktionskreis). Dabei entsteht eine Kreisrelation aus (1.) präziser multimodaler Wahrnehmung und Bewegung mit unter anderem Eigenerfahrungen wie Körperschema und Selbstkonzept: Senso-Motorik, (2.) Freude an spielerischer Bewegung und sozial verträglichem Verhalten im gemeinsamen Spiel: Emotion + Soziabilität, (3.) planvollem Handeln, strategisch geschicktem Vorgehen und Sprache auf allen Strukturebenen: Kognition + Sprache.

Bewegung und Musik als Medium fördern alle persönlichkeitsbildenden Bereiche mit. Bei ihren Wechselwirkungen bildet der Rhythmus das wesentliche Verbindungsglied. Auf die entwicklungsfördernde Rolle von Overflows wurde im Vortrag "Auch Sprache ist Bewegung" bereits hingewiesen; ebenso wurde der neurophysiologische Mainstream beim Sich-Bewegen, Sprechen und Musizieren ebendort skizziert.

3. Bewegungsspiele bedeuten auch: "Kommt, wir gehen Sprache spielen!"

Lustige Sinnesspiele, Sketche, Singspiele, Klatsch-, Reiter- und andere Rhythmikspiele trainieren nebenbei Sprechwerkzeuge (Myofunktion), Mimik und Gestik; und auch sprachliche Kompetenzen wie Semantik, Phonetik/Phonologie, Syntax, Prosodie und situationsangemessenes Kommunikationsgeschick. Derartiges Sprech- und Sprachtraining sowie Bewegungstraining geschehen spielerisch beispielsweise in Puste- und Blasespielen, Seifenblasen wachsen lassen und beim Ansaugen leichter Materialien unter Verwendung von Trinkhalmen, aber auch bei Nonsens-Singtexten, zusammen mit Arm- und Handbewegungen in Klatsch- und Fingerspielen. Um Sprech- respektive Sprachförderung und motorische Handlungskompetenz implantiert in freudvollem Bewegungsspiel quasi propädeutisch zu betreiben und ganzheitlich zu fördern (ohne spezielle therapeutische Trainingsprogramme tangieren zu wollen), begeben wir uns im Workshop gemeinsam auf eine Entdeckungsreise. Mal sehen, ob unsere Hände und Arme dabei auch Ohren bekommen!

3.1 Ein Kniereiterlied für Kinder im Elementaralter:

Abbildung 1

"Ich kenne einen Cowboy" (Gemeingut; Text: http://kinderlieder.blogg.de). Das Kind sitzt auf den Oberschenkeln des Spielpartners. Je nach Gangart wird es mit Oberschenkeldruck mal sanft, mal schwungvoll zum Lied hoch hüpfen lassen; Textvarianten: der Cowboy reitet / trabt / saust. Beim abschließenden "so" wird der Oberkörper nach dorsal abgekippt, mit Glissando ("soooo"). Jüngere Kinder sollten beim Abkippen im Nacken unterstützt werden. Spielvariante: auf dem Trampolin hüpfend.







3.2 Abzählverse für Kinder im Elementar- und Primaralter:

Abbildung 2

Eins, zwei, drei, vier, fünf,
strick mir ein Paar Strümpf;
nicht zu groß und nicht zu klein,
sonst musst du der Fänger sein. (Gemeingut)

Dieser Abzählvers geht leicht von der Hand, weshalb er bereits im Kindergartenalter gefällt. Er fördert die Silben-Objekt-Zuordnung (jeweils eine Silbe zu einer Person), die Merkfähigkeit von Sprache mit geringem Sinngehalt respektive im Nonsenstext. Weiterhin bedarf es der Aufmerksamkeit und Raumlagesicherheit, um keinen Mitspieler beim Auszählen zu überspringen und die Zählrichtung im Gesichtskreis einzuhalten.

Ich und du,
Müllers Kuh,
Müllers Esel, der bist du. (Gemeingut)

Hier ist besonderes Zähl- und Deutegeschick erforderlich, sonst ist der Zählende plötzlich "Ich" und "du" zugleich und macht sich selbst zum Opfer des Sprachspaßes. Dieser Vers scheint erst für ältere Kinder als geeignet. Im Primaralter kann er vorausschauendes Denken bezüglich der Abzähltechnik, Sprachspaß und Erfassen der Situationskomik fördern.

3.3 Klatschverse für Kinder im Primaralter:

Em pom pi kolo - ni kolo - nas - ter
em pom pi kolo - ni aka - de - mi sa - fa - ri
aka - de - mi puff puff
und Deckel druff! (Gemeingut)

Finden Sie heraus, welche neuronalen Korrelate für Sprechen, Bewegen und Musizieren bei den Spielen (Kapitel 3.1 bis 3.3) beübt werden; ansonsten: siehe Vortrag "Auch Sprache ist Bewegung"!

Praxisliteratur zur Dreierbeziehung von Motorik, Sprache und Musik:

B

Bastian, H. G. (2003). Kinder optimal fördern – mit Musik, Mainz: Schott.

H

Herschkowitz, N. & Chapman Herschkowitz, E. (2004). Klug, neugierig und fit für die Welt. Gehirn- und Persönlichkeitsentwicklung in den ersten sechs Lebensjahren. Freiburg: Herder.

J

Jackel, B. (1999). Rituale als Helfer im Grundschulalltag. Dortmund: Borgmann.

Jackel, B. (2004). Kinder orientieren sich. Spiele zur Entfaltung psychomotorischer Handlungskompetenz. Dortmund: Borgmann.

Jackel, B. (2005). Vom Spielsinn des Sinnesspiels in der logopädischen Arbeit mit Kindern, in: Forum Logopädie (2), 18-23.

K

Kelber-Bretz, W. (2004). Fingerspiele neu entdecken. Aachen: Meyer & Meyer.

M

Mehr Zeit für Kinder e. V. (2004). (Hrsg.). Sprich mit mir! Tipps, Ideen, Informationen und viele Spiele zur Förderung der Sprachentwicklung. Frechen: dbl.

S

Struck, V. & Mols, D. (2002). Atem-Spiele. Dortmund: Borgmann.

Struck, V. & Mols, D. (2004). Das MundWerk. Training für die Sprechwerkzeuge. Dortmund: Borgmann.

W

Ward, S. (2001). BabySprache – BabyTalk. Wie Eltern die Intelligenz ihrer Kinder fördern können. Frankfurt / Main: Krüger.

Dr. phil. Birgit Jackel (2007)

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